Standpunkte

“Die Bibel ist das am meisten überschätzte Buch der Weltliteratur, Jesus von Nazareth die am meisten überschätzte Person der Weltgeschichte.”

Kubitza kritisiert das Christentum aus einer kirchenunabhängigen Position heraus und bringt als promovierter Theologe dennoch die Perspektive eines Insiders ein. In seinen Büchern fasst er die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Entstehung des Christentums und die historische Figur des Jesus von Nazareth zusammen und setzt diese in Kontrast zu dem dogmatischen Zerrbild, das Kirchen und Gläubige bis heute vermitteln. Kirchen wie Gläubige halten an einem Christusbild fest, das im vierten Jahrhundert dogmatisch geformt wurde, und zeigen wenig Interesse an einer realistischen Sicht auf den historischen Jesus von Nazareth.

Zwischen dem historischen Jesus und dem Christus der Kirche gibt es kaum eine Verbindung. Der galiläische Wanderprediger, Exorzist und gläubige Jude, als den die Forschung Jesus heute weitgehend einordnet, hat fast nichts mehr mit dem dogmatischen Christus der Kirche gemein. Auch wenn Gläubige selbstverständlich an alles Mögliche glauben können, ist nach über 200 Jahren kritischer Forschung davon auszugehen, dass die Grundlagen des christlichen Glaubens hinreichend widerlegt wurden. Wie alle anderen Götter ist auch der Gott des Neuen Testaments ein Produkt seiner Gläubigen. Gerade die umfangreichen und ergebnisreichen Forschungen zur Entstehung des Christentums machen ihn zu einem Paradebeispiel dafür, wie ein Mensch durch den Glauben seiner Anhänger divinisiert werden kann. Es gibt immer einen Aberglauben mehr, als ein Gläubiger selbst bereit ist zuzugeben. Die neutestamentliche Forschung hat den dogmatischen Christus der Kirche längst wieder auf den Menschen Jesus reduziert. Doch anstatt diese revolutionären Ergebnisse offen zu kommunizieren, wird darüber meist geschwiegen. Die Neutestamentler ziehen selten ein Gesamtfazit ihrer Forschung und scheuen davor zurück, den grundlegenden weltgeschichtlichen Irrtum des Christentums klar zu benennen. Stattdessen halten sie an der Verwaltung eines längst widerlegten Glaubens fest. Diese prinzipielle Unaufrichtigkeit stellt nicht nur die sogenannte „Theologie als Wissenschaft“ infrage, sondern ist auch problematisch gegenüber den Gläubigen, denen die Ergebnisse der Forschung oft bewusst vorenthalten werden.

Religionen sind ein Menschheitsproblem. Viele Konflikte und Kriege haben ihren Ursprung im religiösen Glauben oder Aberglauben. An die Stelle einer religiösen Weltsicht muss ein humanistisches Menschenbild treten, das sich auf die Werte der Aufklärung gründet: unveräußerliche Menschenrechte, rechtliche Gleichheit von Mann und Frau, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese Prinzipien sollten nicht auf „Heiligen Schriften“ oder angeblich übernatürlichen Offenbarungen basieren, sondern auf Vernunft und Toleranz. Werte der Aufklärung und des Humanismus sind politischen wie religiösen Ideologien klar vorzuziehen. Bürgerliche Freiheit ist der dogmatisch-christlichen Freiheit überlegen. Lessing ist wichtiger als Paulus. Wir brauchen eine Weltsicht, die nicht Götter in den Mittelpunkt stellt, sondern das Wohl der Menschen und ihrer Umwelt. Eine solche Weltsicht muss offen sein für wissenschaftliche Erkenntnisse, die die Welt erklären, anstatt sie durch Götter oder Offenbarungen zu mystifizieren.

Nach hoffnungsvollen Anfängen in der Antike müssen über 1000 Jahre „christliches Abendland“ als kulturgeschichtlicher Rückschritt betrachtet werden. Die vielgepriesene Reformation hat das moderne Denken nicht gefördert, sondern nach den positiven Ansätzen von Renaissance und Humanismus zu einem Rückfall in religiöse Rechthaberei geführt. Sie brachte eine neue Scholastik und blutige Glaubenskämpfe, die im Dreißigjährigen Krieg gipfelten. Erst mit der Aufklärung und der Zurückdrängung der Religion wurden die Grundlagen für moderne Werte wie Toleranz, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit geschaffen. Diese Werte wurden nicht im Einklang mit den Kirchen, sondern häufig gegen ihren Widerstand erkämpft. Kirchen haben sich zu oft als Bremsklötze gesellschaftlicher Entwicklungen erwiesen. In einer globalisierten Welt sind allgemein verbindliche und rational nachvollziehbare Werte unabdingbar. Religiöse Rechthaberei und der Glaube an heilige Schriften stehen einer modernen Weltsicht im Weg.